2 Ärztin und Arzt in der Beraterrolle

 

2.1 Wie kann ich meine Patientinnen und Patienten bei Apps, die sie selbst beschafft haben, unterstützen?

Beispiel 2
Ein Mann mit Bluthochdruck möchte seine Werte mithilfe einer App dokumentieren. Er fragt, ob Sie ihm helfen können, eine geeignete App zu finden. Welche Informationen können Sie ihm geben?

Im obigen Beispiel möchte der Patient sich eine App selbst beschaffen und nutzen, um seine Erkrankung im Alltag besser zu bewältigen. Sofern Sie ihn und andere Personen bei der Anwendung von Gesundheits-Apps unterstützen möchten, sollten Sie auf den Nutzen und die Risiken hinweisen. Außerdem können Sie darüber informieren, dass die Krankenkassen für bestimmte Apps oder digitale Gesundheitsanwendungen die Kosten tragen.

Auch wenn Sie nicht jede App kennen können, gibt es allgemeingültige Grundsätze:

Abschätzung von Nutzen und Risiken
Folgende Fragen können sich Patientinnen oder Patienten stellen, wenn sie beabsichtigen, eine gesundheitsrelevante App zu nutzen. Einige der Antworten sollten in der Beschreibung oder Gebrauchsanweisung der App zu finden sein:

Fragen, die Ihre Patientinnen und Patienten sich stellen sollten, um Risiken beim Gebrauch von Gesundheits-Apps zu minimieren:

  • Welchen Zweck verfolgt die App?

  • Gehöre ich zur Zielgruppe, an die sich die App richtet?

  • Wie genau kann sie mich unterstützen – welches Problem löst sie?

  • Brauche ich sie wirklich?

  • Sind die Inhalte aktuell und verlässlich?

  • Ist die Nutzerführung intuitiv und einfach?

  • Kenne ich mich mit Apps genügend aus, um sie korrekt bedienen zu können?
    Gibt es jemanden, der mich unterstützen kann?

  • Bin ich mir bewusst, dass die App unter Umständen nur gut funktioniert, wenn ich sie regelmäßig benutze?

  • Bin ich bereit, persönliche Daten zur Verfügung zu stellen, wenn sie für die Funktion der App erforderlich sind?

  • Erscheinen die Messwerte plausibel?
    Wenn Sie Zweifel haben, fragen Sie Ihre Ärztin oder Ihren Arzt.

  • Wer ist der Anbieter? Womit verdient er sein Geld?
    (zum Beispiel mit der Auswertung oder dem Verkauf meiner Daten)

  • Wurde die App bereits von anderen Nutzerinnen und Nutzern bewertet?
    (Diese Informationen sind nur bedingt aussagekräftig, da Benutzerfreundlichkeit und Funktionalität häufig stärker wahrgenommen werden als die inhaltliche Qualität.) [46].

  • Gibt es Informationen zu dieser App in Print- oder Online-Medien, zum Beispiel von Selbsthilfegruppen?

  • Kostet die App etwas? Ist der Betrag angemessen? Muss ich ein Abonnement abschließen?

  • Wird die App von einer Krankenkasse empfohlen?

Auch wenn die Einschätzung letztlich immer subjektiv ist, kann es hilfreich sein, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen. Sie schärfen das Bewusstsein für Risiken und tragen dazu bei, eine Entscheidung besser zu fundieren.

Die Information für Patientinnen und Patienten "Gesundheits-Apps: Worauf sollte ich achten?" gibt Tipps zum sicheren Umgang mit Gesundheits-Apps. Diese können Sie ausdrucken und an Ihre Patientinnen und Patienten aushändigen.

Weitere Informationen für Patientinnen und Patienten:

Patienteninformationen zu Gesundheits-Apps der Bundespsychotherapeutenkammer 

Checkliste des Aktionsbündnisses Patientensicherheit 

Gesundheits-App Fact Sheet des Aktionsforums Gesundheitsinformationssystem 

Tool der Techniker Krankenkasse zur Bestimmung der Qualität und Vertrauenswürdigkeit einer Gesundheits-App

App-Suche der Weissen Liste

Informationen des BfArM für DiGA-Nutzende 

Welche Risiken gibt es?
Wie in vielen anderen Bereichen des Lebens gibt es auch bei der Nutzung von Apps keine 100%ige Sicherheit. Sie können Ihre Patientinnen und Patienten auf folgende mögliche Fehlerquellen aufmerksam machen [34]:

  • Falschinformation
    Weisen Sie darauf hin, dass Informationen falsch oder nicht mehr aktuell sein können. Ein Blick auf den App-Anbieter lohnt in jedem Fall, um abschätzen zu können, ob die Informationen von bestimmten Interessen geleitet sein könnten.
  • Anwendungsfehler
    Anwendungsfehler entstehen, wenn Werte falsch gemessen wurden oder bestimmte Parameter nicht kontinuierlich erfasst werden. Daher ist es wichtig, dass Apps in der Lage sind, Plausibilitätschecks durchzuführen. Begünstigt werden solche Probleme, wenn die Nutzerführung der App nicht intuitiv ist. Je einfacher eine App gestaltet ist, desto besser wird sie in der Regel angenommen. Manchmal funktioniert der gesunde Menschenverstand besser als eine App. Gerade chronisch kranke Menschen haben häufig ein sehr gutes Gefühl für ihren Körper und bemerken intuitiv Unstimmigkeiten. Sie sollten sie daher ermutigen, zweifelhafte Werte ärztlich überprüfen zu lassen.
  • Fehlfunktion
    Für Laien ist es kaum möglich, einen technischen Fehler im Algorithmus einer App zu erkennen. Eine gewisse Sicherheit sollte aber gegeben sein, wenn sie in das beim BfArM angesiedelte DiGA-Verzeichnis aufgenommen ist.
  • Interessenkonflikte
    Kommerzielle Interessen der Hersteller bieten grundsätzlich ein Potenzial zur Einflussnahme auf Patientinnen und Patienten sowie Ärztinnen und Ärzte (direct-to-consumer-advertising) [47].
  • Datenmissbrauch
    Weisen Sie die Patientin oder den Patienten darauf hin, dass Informationen zur Erkrankung oder zum Gesundheitszustand zu den sensibelsten Daten überhaupt gehören. Sie sollten sich bewusst sein, dass zum Beispiel mit dem Download von Apps, die bei psychischen Erkrankungen eingesetzt werden, unter Umständen eine "Datenspur" im Internet hinterlassen wird, mit der sich bei den Anbieterplattformen Rückschlüsse auf die Person ziehen lassen.

Auch wenn Datenschutzerklärungen selten gelesen werden, enthalten Sie wichtige Informationen [36]:

  • Welche personenbezogenen Daten werden gespeichert?
  • Von wem werden sie gespeichert oder verarbeitet?
  • Zu welchem Zweck?
  • Wie lange?
  • Wo kann ich eine Löschung meiner Daten beantragen?

Grundsätzlich gilt das Prinzip der Datensparsamkeit, das heißt, die App sollte nur die Daten anfordern, die zu ihrer Funktionsfähigkeit unbedingt notwendig sind [36].

Ein Missbrauch ist aber auch möglich, wenn andere Menschen Zugriff auf das Smartphone haben, zum Beispiel bei Verlust. Bei einem neuen Download der App können die Daten nur wiederhergestellt werden, wenn sie in einem zentralen Speicher außerhalb des Gerätes gespeichert sind, das heißt in einer Cloud.

siehe auch Kapitel 1.4: Wie kann ich selbst die Qualität einer App beurteilen?

Weitere Informationen zum Datenschutz finden sich hier:

Flyer "Gesundheits-Apps aus Sicht des Datenschutzes" Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationssicherheit 

Empfehlungen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zur Sicherung von persönlichen Daten im Internet 

Empfehlungen des Bundesministeriums des Inneren zum Schutz vor Datendiebstählen 

 

2.2 Was sollte ich beachten, wenn eine Patientin oder ein Patient meine Meinung zu einer bestimmten Gesundheits-App hören möchte?

Beispiel 3
Eine schwangere Frau kommt in die gynäkologische Praxis und zeigt Ihnen eine App. Sie kann damit die Entwicklung ihres Babys verfolgen. Die App sagt ihr, wie lange es noch bis zu ihrem errechneten Geburtstermin dauert und wie der Fötus im Moment aussieht. Außerdem kann sie Gewicht und Stimmungsschwankungen notieren. Grafiken zeigen den Verlauf ihrer Schwangerschaft an. Sie fragt, ob Sie diese App empfehlen können.

Wenn Sie die App für geeignet halten, dürfen Sie dazu auch Ihre Meinung kundtun. Machen Sie jedoch deutlich, dass es sich dabei nicht um eine Empfehlung ihrerseits handelt. Außerdem müssen Sie dabei, wie bei einer medikamentösen Therapie, auf den medizinischen Nutzen hinweisen. Informieren Sie außerdem, dass die Nutzung der App mit Risiken verbunden sein kann und es möglicherweise andere Angebote gibt, die den gleichen Zweck erfüllen.

Berücksichtigen Sie folgende Punkte, wenn Sie sich zu einer App äußern möchten [35]:

Bevor Sie sich zu einer Gesundheits-App äußern, sollten Sie folgende Einschätzungen treffen:

  • Unterstützt die App die Versorgung der Patientin oder des Patienten und/oder fördert sie deren Gesundheit? Eine App ersetzt in der Regel nicht die medizinische Versorgung. Bei akuten Symptomen hat die persönliche ärztliche Konsultation immer Priorität.

  • Passt die App zur Anwenderin oder zum Anwender? Ist sie oder er physisch und kognitiv in der Lage, sie zu bedienen und entspricht sie den individuellen Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen?

  • Ist es im konkreten Fall möglich, sich auf bestimmte Gruppen statt auf eine konkrete App zu beziehen?

In der Praxis sind verschiedene Szenarien denkbar:

  • Variante 1:
    Die App befindet sich im BfArM-Verzeichnis für digitale Gesundheitsanwendungen, ist also erstattungsfähig.
    Wenn eine App im Verzeichnis des BfArM ist, ist sie verordnungsfähig und somit erstattungsfähig. Dort werden Apps mit niedriger Risikoklasse gelistet sein, welche qualitative und datenschutzrechtliche Grundanforderungen erfüllen [25]. Bei dieser "App auf Rezept" sind Sie im Rahmen der Behandlung verpflichtet, die Patientinnen und Patienten zu beraten und bei der Anwendung der App sowie bei der Auswertung der erhobenen Daten zu unterstützen.
  • Variante 2:
    Die App wurde der Patientin oder dem Patienten von einer Krankenkasse empfohlen.
    Wenn eine App von der Krankenkasse empfohlen wird, sind Sie nicht verpflichtet, diese Empfehlung zu teilen. Es ist davon auszugehen, dass eine solche App durch die Krankenkasse bereits begutachtet wurde, auch wenn diese nicht im DiGA-Verzeichnis beim BfArM steht. Vonseiten des Bundesamtes für Soziale Sicherung (ehemals: Bundesversicherungsamt) wurden einige, von Krankenkassen angebotene Apps zurecht kritisiert, weil sie den Arztvorbehalt nicht beachtet haben und damit ärztliche Therapieentscheidungen ersetzen wollten [48]. Deshalb ist es hilfreich, wenn Sie die Bewertungskriterien der Krankenkasse kennen. Außerdem kann es zu Problemen kommen, wenn verschiedene Krankenkassen Gesundheits-Apps zu demselben Thema anbieten, die sich inhaltlich oder funktionell unterscheiden. Hierdurch kann eine einheitliche Dokumentation erschwert werden.
  • Variante 3:
    Die Kosten für die Nutzung der App wird im Rahmen eines Selektivvertrages erstattet.
    Höchstwahrscheinlich hat bei digitalen Anwendungen, welche Versicherte im Rahmen von Selektivverträgen angeboten bekommen, vorab eine gewisse Überprüfung stattgefunden. Selektivverträge und Modellvorhaben dienen dazu, Apps schneller in die Versorgung zu bringen und gleichzeitig zu evaluieren.

siehe auch Kapitel 1.5: Was gilt für den Einsatz der App und die Haftung?

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zuletzt verändert: 25.07.2023 | 14:34 Uhr