3 Ärztin und Arzt als Empfänger und Auswerter von Daten

3.1 Welchen Nutzen könnte eine Gesundheits-App für Patientinnen und Patienten auch für mich haben?

Beispiel 4

Beispiel 4a
Eine junge Frau mit Übergewicht und Diabetes mellitus ist schwanger. Für die Gynäkologin oder den Gynäkologen bedeutet eine solche Risikoschwangerschaft eine intensivere Betreuung und eine aufwendigere Beratung.

Beispiel 4b
Ein älterer, alleinlebender Mann mit Herzinsuffizienz muss nach Stentimplantation regelmäßig mehrere Medikamente einnehmen. Es fällt ihm schwer, den Überblick zu behalten, wann er welches Arzneimittel nehmen muss. Manchmal ist er sich nicht mehr sicher, ob er seine Tabletten schon genommen hat.

Eine Gesundheits-App für Patientinnen und Patient kann auch Sie als Ärztin und Arzt bei der Therapie unterstützen [49].

Gut vorstellbar ist dies bei Personen in besonderen Situationen, wie das Beispiel 4a zeigt. Gynäkologin und Gynäkologe können sich sicherer fühlen und gegebenenfalls besser intervenieren, wenn eine Schwangere mit Adipositas und Diabetes mellitus über die drei gesetzlich garantierten Vorsorgeuntersuchungen hinaus mithilfe einer App regelmäßig Vitalwerte dokumentiert und der Ärztin oder dem Arzt übermittelt.

Monitoring und Adhärenz sind auch wichtige Themen bei der Betreuung chronisch kranker Menschen. Willkürliche Änderungen bei der Einnahme und Dosierung von Tabletten bis hin zum Abbruch von Therapien sind bekanntlich ein großes Problem. Viele dieser Patientinnen und Patienten empfinden Apps, die an die Einnahme von Medikamenten erinnern, als hilfreich. Sofern eine Dokumentationsfunktion integriert ist, die gegebenenfalls mit der Ärztin oder dem Arzt geteilt werden kann, lässt sich die Adhärenz besser einschätzen.

Sinnvoll können Apps auch sein, um die subjektive Sicherheit der Betroffenen zu erhöhen. So können beispielsweise Menschen mit hämatologischen Erkrankungen in der Hausarztpraxis regelmäßig bestimmte Gerinnungswerte kontrollieren lassen. Diese werden per App an die Ärztin oder den Arzt im – möglicherweise entfernten – Zentrum übermittelt. Bei Bedarf kann die Therapie dann kurzfristig angepasst werden. Zum Teil verfügen solche Apps auch über eine Alarmfunktion.

Sind Apps für alle sinnvoll?
Auch bei dem in Beispiel 4b beschriebenen Mann scheint der Nutzen einer App mit Erinnerungs- und Dokumentationsfunktion offensichtlich zu sein. Es ist jedoch ratsam zu hinterfragen, ob Apps tatsächlich für jede Person sinnvoll sind. Ein Einwand könnte lauten: Wenn jemand aufgrund seines Alters, ungenügender digitaler Kompetenz oder Multimorbidität so beeinträchtigt ist, dass er seine Medikamente nicht mehr überblickt, wie soll er dann eine App bedienen können? In diesem Fall wäre eine vernünftige Verblisterung der Arzneimittel in der Apotheke und/oder durch einen Pflegedienst möglicherweise die bessere Lösung.

3.2 Wie verändert sich die Arzt-Patienten-Kommunikation?

Beispiel 5

Beispiel 5a
"Schon jetzt finde ich es anstrengend, wenn Leute mit Artikeln aus Zeitschriften zu mir kommen. Wenn nun PDF-Dateien mit selbst generierten Werten hinzukommen, die ich erklären muss, wird es noch aufwendiger."

Beispiel 5b
"Ich finde es gut, wenn Menschen mehr Eigenverantwortung für ihre Gesundheit übernehmen. Wenn die elektronische Patientenakte kommt, benötigen sie ohnehin eine gewisse Gesundheitskompetenz. Aus meiner Sicht ist es leichter, mit jemandem zu reden, der sich selbst informiert. Bei chronisch Kranken ist das ja eher die Regel."

Vertrauensverhältnis hat weiterhin Priorität
Wenn Patientinnen und Patienten Apps nutzen möchten, kann das ein Signal sein, dass sie sich mit ihrer Gesundheit beschäftigen und aktiv werden möchten. Dies ist ein guter Anknüpfungspunkt für die Kommunikation. Immer wieder werden aber auch Bedenken geäußert. So erwarten 43% der vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Praxen, dass sich die Arzt-Patienten-Beziehung verschlechtert, je weiter die Digitalisierung fortschreitet [50].

Im Moment sieht es nicht danach aus, dass die Ärzteschaft an Vertrauen verliert. Ganz im Gegenteil: Die wichtigsten Anlaufstellen bei der Suche nach Gesundheitsinformationen sind Ärztinnen, Ärzte und anderes medizinisches Fachpersonal [51].

Betreuung auf individuelle Situation anpassen
Bei aller Euphorie über die Vorteile der Digitalisierung darf nicht ausgeblendet werden, dass es auch Personen gibt, die gar kein oder kein geeignetes Mobilgerät besitzen oder sich nicht für Gesundheits-Apps interessieren. Wenn sie − aus unterschiedlichen Gründen − vielleicht auch überfordert sind, digitale Geräte oder Apps zu bedienen, sind sie von der Teilhabe an bestimmten Fortschritten ausgeschlossen. Somit besteht eine der wichtigsten Herausforderungen für Sie, individuell herauszufinden, welche Voraussetzungen und welchen Bedarf eine Patientin oder ein Patient in Bezug auf Kommunikation und Partizipation hat.

3.3 Was muss ich beachten, wenn mir jemand unabgesprochen Daten aus einer von ihm genutzten App übermittelt?

Beispiel 6

Beispiel 6a
Eine Patientin schickt Ihnen ohne Absprache eine E-Mail mit Blutdruckwerten aus einer App, mit der sie ihre Blutdruckwerte einen Monat lang protokolliert hat.

Beispiel 6b
Ein Patient ruft aufgeregt in der Praxis an und möchte möglichst sofort einen Termin. Er hat mit einer App eine auffällige Hautveränderung am Arm gescreent: "Ich glaube, ich habe Hautkrebs."

Wie gehen Sie mit diesen Situationen um?

Wenn Sie digitale Werte von Patientinnen und Patienten annehmen, gelten auch hier die rechtlichen Regelungen zum Datenschutz und zu Schweigepflichten unabhängig davon, in welcher Form personenbezogene Daten vorliegen. Somit spielt es keine Rolle, ob Ihnen jemand die Blutdruckwerte auf einem Zettel überreicht oder in einer Excel-Tabelle oder einem PDF per E-Mail schickt [52].

Am üblichen ärztlichen Vorgehen ändert sich in beiden Fällen nichts. Fragen Sie, wie die Vitalwerte gemessen wurden oder wie das Ergebnis der App zustande gekommen ist. Machen Sie sich selbst ein Bild und überprüfen Sie die Daten beziehungsweise die geäußerte Vermutung mit diagnostisch gesicherten Methoden.

3.4: Bin ich zu einem kontinuierlichen Monitoring von Werten, die eine Patientin oder ein Patient per App übermittelt hat, verpflichtet?

3.4 Bin ich zu einem kontinuierlichen Monitoring von Werten, die eine Patientin oder ein Patient per App übermittelt hat, verpflichtet?

Beispiel 7

Die Kolleginnen und Kollegen in Ihrer kardiologischen Gemeinschaftspraxis diskutieren, ob sie demnächst bei bestimmten Personen eine App einsetzen sollten, mit der sich Hinweise auf Vorhofflimmern erkennen lassen. Die Werte werden direkt an die Praxis übermittelt. Ein Kollege gibt zu bedenken, dass eine permanente "Überwachung der Überwachung" personell nicht möglich ist. Er fürchtet haftungsrechtliche Konsequenzen. Hat er Recht?

In einer niedergelassenen Praxis können Sie das durchgehende Monitoring nicht gewährleisten und müssen das in der Regel auch nicht.

Meist geht es darum, Verläufe anhand von kontinuierlichen Messungen über bestimmte Zeiträume besser beurteilen zu können. Je nach der Größe und den Möglichkeiten Ihrer Praxis oder Einrichtung sollten Sie abschätzen, in welchem Umfang Sie dies leisten können. Natürlich spielt auch die konkrete Situation des Einzelnen eine Rolle: Geht es um die schon gut vorangeschrittene Wundheilung nach einer Operation oder um die Überwachung einer Herzrhythmusstörung bei einer Risikopatientin oder einem Risikopatienten? Auch wenn einige Überwachungs-Apps über eine Notrufoption verfügen, sind letztere Fälle in einem Zentrum mit telemedizinischem Monitoring vielleicht am besten aufgehoben. Denkbar wäre auch eine Betreuung in Ärztenetzen oder Teilberufsausübungsgemeinschaften.

Aufklärung wichtig
Alle relevanten Aspekte sollten Sie im Aufklärungsgespräch mit der Patientin oder dem Patienten besprechen und dokumentieren. Halten Sie schriftlich fest, ob Sie als Ärztin oder Arzt beim Einsatz einer solchen App eine kontinuierliche Überwachung sicherstellen, oder die Patientin oder der Patient im Notfall eine gemeinsame Anlaufstelle oder den Notruf kontaktieren muss. Auch die Aufklärung über die Datensicherheit und mögliche gesundheitliche Risiken gehören dazu. Dies gilt besonders, wenn Apps in chronischen Behandlungsprogrammen zur Anwendung kommen. Eine schriftliche Vereinbarung kann dann zum Beispiel den Hinweis enthalten, dass ein Eintrag durch die Patientin oder den Patienten nicht unmittelbar eine ärztliche Reaktion auslösen muss – beispielsweise, wenn dieser am Wochenende eintrifft – und die Patientin oder der Patient sich im Notfall dann selbst Hilfe suchen muss. Auch für die Patientin oder den Patienten sollten die Absprachen festgehalten werden, zum Beispiel in Form eines Merkblatts.

Standardisiertes Vorgehen
In größeren Praxen mit vielen chronisch Kranken kann es vor allem für das medizinische Personal sinnvoll sein, ein standardisiertes Vorgehen festzulegen. Hier sollte geregelt werden, wer für die Sichtung der Daten verantwortlich ist, zu welchen Zeiten dies geschieht und in welchen Fällen die Ärztin oder der Arzt informiert werden muss [53].

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zuletzt verändert: 25.07.2023 | 14:34 Uhr