14 Zukunft des Qualitätsmanagements in der ambulanten ärztlichen Versorgung

14.1 Zukunft des Qualitätsmanagements in der ambulanten Versorgung aus Sicht der Bundesärztekammer

Im Mittelpunkt des ärztlichen Handelns steht der Patient. Dessen Versorgung zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit der bestmöglichen medizinischen Leistung ist der Leitgedanke ärztlicher Berufsausübung. Die Sicherung und kontinuierliche Verbesserung der Qualität hierbei zählt zum professionellen Selbstverständnis der Ärzteschaft. Korrespondierend hierzu ist die Qualitätssicherung ärztlicher Berufsausübung ein Kernanliegen der ärztlichen Selbstverwaltung. Auf der Grundlage dieser nicht nur historisch gewachsenen, sondern gesetzlich in den Heilberufs- und Kammergesetzen der Länder verankerten Zuständigkeit sind die Ärztekammern hier fortlaufend initiativ tätig. Die zunehmende Adaption von Qualitätssicherung durch die Sozialgesetzgebung lässt die Provenienz der Qualitätssicherungsentwicklung aus der ärztlichen Selbstverwaltung allerdings zunehmend weniger erkennen, sondern wird der Öffentlichkeit vom Gesetzgeber vielmehr als Ergebnis extern angestoßener Reformen präsentiert. In der Folge werden teilweise sozialrechtlich begründete Parallelstrukturen geschaffen, die mit unkoordinierten, oft nur auf Einzelziele zugeschnittenen Dokumentationspflichten einhergehen und so unter anderem zu einer Vervielfältigung der ärztlichen Verwaltungsaufgaben führen – zu Lasten der eigentlichen Patientenversorgung. Dies färbt negativ auf die Akzeptanz der zahlreichen Maßnahmen zur ärztlichen Qualitätssicherung ab, die zunehmend nur noch als redundante Kontrollmechanismen erlebt werden.

Eine eigenständige Positionierung der Ärzteschaft im Feld der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements stellt daher aus Sicht der Ärztekammern, auch vor dem Hintergrund der im GKV-Modernisierungsgesetz begonnenen und zuletzt im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz fortgeführten Grundsatz- und Regelungskompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses, eine große Herausforderung dar. Eine wachsende Diversifizierung und ein sektorenübergreifender Wettbewerb der Leistungserbringer versetzen den niedergelassenen Arzt zukünftig in die Rolle des "multiplen Vertragsarztes", der sowohl am Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen mitwirkt als auch direkte Verträge mit einzelnen Krankenkassen über besondere Versorgungsinhalte bzw. Strukturen abschließen kann (hausarztzentrierte Versorgung, integrierte Versorgung etc.). Der Gesetzgeber zielt mit dieser Diversifizierung von Versorgungsstrukturen allerdings weniger auf eine medizinisch-inhaltliche Optimierung patientenzentrierter Versorgungsinhalte und Abläufe, sondern vielmehr auf eine Steuerung von Leistungen und der damit verbundenen Ausgaben. Aus Sicht der Krankenkassen – und auch unter den Vorzeichen einer gesamteuropäischen Liberalisierung des Dienstleistungssektors unter Einschluss medizinischer Leistungen – werden damit Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement zu Instrumenten des Wettbewerbs bzw. zu Stellschrauben des Marktzugangs.

Der Bereich der so genannten Regelversorgung leidet dabei unter zunehmender Überreglementierung, während gleichzeitig der Gesetzgeber einen Schutzraum für neue Versorgungsformen und -verträge schafft, ohne dass klar ist, ob damit das international anerkannte hohe Qualitätsniveau der medizinischen Versorgung in Deutschland gehalten werden kann. Wenn die Versichertenbeiträge im GKV-System der Qualität der Leistung und nicht allein dem Preis folgen sollen, bedarf es hierzu größerer Transparenz und allgemeinverbindlicher, von wirtschaftlichen Interessen unabhängig definierter Qualitätsvorgaben. Beispielhaft sei an dieser Stelle das spezifisch auf die Belange des Gesundheitswesens ausgerichtete und den Patienten in den Mittelpunkt stellende KTQ®-Zertifizierungsverfahren genannt, das innerhalb der gemeinsamen Selbstverwaltung entwickelt worden ist. Zwar besteht nach wie vor kein Zwang zu einer Zertifizierung des inzwischen gesetzlich angeordneten Qualitätsmanagements in einer Praxis, doch bedeutet das Verfahren eine gute Möglichkeit, die Güte eines Qualitätsmanagementsystems nach außen darzulegen und praxisintern die Behandlungsabläufe zu verbessern.

Nicht wünschenswert erscheint hingegen die kaum noch überschaubare Vielfalt diversester Zertifizierungskonzepte, wie sie vor allem im Krankenhaussektor beobachtet werden muss. Insbesondere die populäre Idee der Zentrenbildung hat hier geradezu einen Wildwuchs von Zertifikaten beschert, deren Nutzen – vor allem für die Patienten – und deren Grundlage nicht immer erkennbar werden. Notwendig für Qualitätsbeurteilungen sind vielmehr transparente und dabei faire Kriterien, für deren Entwicklung und Beurteilung eine ärztliche und dabei neutrale Expertise notwendig ist, wie sie vorzugsweise bei den Ärztekammern zu finden ist. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund der jetzt ebenfalls gesetzlich verordneten Einführung einer sektorenübergreifenden Qualitätssicherung. Der innerärztliche Erfahrungsur- und -vorsprung zu Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement sollte genutzt werden – im Interesse der Patientenbedürfnisse, aber auch im Interesse der ärztlichen Leistungserbringer.

14.2 Die Entwicklung des Qualitätsmanagements aus Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Die Entwicklung des Qualitätsmanagements im vertragsärztlichen Bereich wird von zahlreichen Faktoren wesentlich bestimmt [5], hierzu gehören insbesondere:

Gesetzliche Anforderungen
Die Einführung des Qualitätsmanagements in die vertragsärztliche Versorgung wird nicht unwesentlich durch die gesetzliche Vorgabe im SGB V und ihre Konkretisierung in der Richtlinie des G-BA beeinflusst. Prinzipiell ist Qualitätsmanagement eine Angelegenheit der eigenen Arbeitsorganisation, die nicht über Zwangsmaßnahmen aufoktroyiert werden kann und sollte. Die Richtlinie sieht deshalb für den Zeitraum von fünf Jahren keine Sanktionierung vor, so dass die Chance besteht, Qualitätsmanagement in einem angemessen langen Zeitraum ohne Zeitdruck und Bestrafungsgefahr in die eigene Praxis/Einrichtung einzuführen. Nach Ablauf der fünf Jahre entscheidet der G-BA erneut, inwieweit eine Sanktionierung sowohl erforderlich als auch begründbar ist.

Qualitätsförderung
Maßnahmen des Gesetzgebers sind häufig darauf ausgerichtet, schlechte Qualität zu identifizieren und auszusortieren. Neben diesem "bad apple picking", das sehr aufwändig und nur bedingt effizient ist, kann über Maßnahmen der Qualitätsförderung das Versorgungsniveau insgesamt verbessert werden. Die Definition von Zielen der Qualitätsförderung auf der Grundlage eines strukturierten Zielpriorisierungs- und Auswahlprozesses bietet gute Chancen, einen bundesweit einheitlichen Prozess der Qualitätsentwicklung in der ambulanten Versorgung anzustoßen. Wesentlich ist deshalb, den Aspekt der Qualitätsförderung auch bei der Einführung des Qualitätsmanagements in den Vordergrund zu stellen. Bewährte Maßnahmen der Qualitätsförderung sind z. B. Qualitätszirkel, deren Tätigkeit auch durch Rückmeldeberichte über die Versorgungsqualität der am Zirkel Teilnehmenden und durch die Einbindung dieses Instruments als Qualitätskriterium in Selektivverträge weiter an Bedeutung gewinnt.

Vergütungsform
Neue pauschalierte Vergütungsformen werden die Bedeutung des Qualitätsmanagements weiter ansteigen lassen. Dies gilt sektorenunabhängig für den ambulanten wie für den stationären Bereich. Die Umstellung der Vergütungen weg von der Einzelleistungsvergütung und hin zu Leistungskomplexen birgt neben einer abnehmenden Leistungstransparenz auch die Gefahr der Risikoselektion: Erforderliche Leistungen werden ggf. nicht mehr im Rahmen der Komplexleistung erbracht, da dies das Budget der Einrichtung/Praxis belastet. Während früher tendenziell die Gefahr der Überversorgung bestand, muss nun der Gefahr einer Unterversorgung mit Hilfe von Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement begegnet werden.

Ergebnisorientierung
Die bisherige Konzentration auf Strukturqualität findet außerhalb der Ärzteschaft immer weniger Akzeptanz. Der Fokus verschiebt sich immer mehr in Richtung Prozess- und Ergebnisorientierung. Hier knüpfen entsprechende Vergütungssysteme an. Gleichwohl ist anzumerken, dass Indikatoren einem Blick in den "Rückspiegel" entsprechen, während mit Struktur- und Prozessregelungen die Qualität der Leistungen bei der künftigen Leistungserbringung geregelt wird.

Sektorengrenzen
Sektorenübergreifende Maßnahmen der Qualitätsförderung und der Qualitätssicherung werden deutlich zunehmen. Z. B. Disease-Management-Programme beschleunigen diesen Prozess. Sinnvolles Disease-Management ist prinzipiell sektorenübergreifend. Da der Qualitätssicherung bei Disease-Management-Programmen eine elementare Bedeutung zukommt, müssen die Qualitätssicherungsmaßnahmen ebenso sektorenübergreifend sein. Intersektorale Behandlungspfade ermöglichen eine Ablaufstrukturierung insbesondere an den Schnittstellen der Versorgung.

Informationstechnologie
Der integrierte Einsatz informatorischer und telekommunikativer Technologien eröffnet neue Dimensionen von Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung. Zeitnähe, Effizienz und Flexibilität sind Faktoren, die diesen Ansatz unterstützen. Prinzipiell existieren drei Möglichkeiten der Datenerhebung und -verarbeitung: papiergebundene Verfahren/Dokumentationsbögen, Dokumentation per Diskette und Internet-Lösungen.

Papiergebundene Dokumentationsverfahren wurden in der Vergangenheit vor allem aufgrund mangelnder Alternativen verwandt. Der Dokumentationsaufwand und der Auswertungsaufwand sind jedoch vergleichsweise hoch und somit kostenträchtig. Zudem ist dieses Verfahren extrem fehleranfällig. Eine Diskettenlösung, wie sie etwa im Bereich der invasiven Kardiologie in Hessen verwandt wird, ermöglicht zwar eine direkte Plausibilitätsprüfung der Daten bei Eingabe, jedoch treten relativ häufig Software-Inkompatibilitäten auf. Der zersplitterte Markt an Praxisverwaltungssoftware-Systemen lässt hier keine kurzfristigen Lösungen erwarten.

Die internetbasierte Lösung zeichnet sich hingegen durch eine vollkommene Unabhängigkeit bezüglich Praxisverwaltungssoftware-Systemen wie auch der Systeme im Krankenhausbereich aus. Der Umfang der dokumentierten Datenmenge und insbesondere der teilnehmenden Ärzte spielt hier keine Rolle.

Langfristig wird sich dieser Ansatz auch unter sektorübergreifenden Gesichtspunkten durchsetzen. Steigende Ansprüche an Qualitätssicherungsverfahren mit einer Verlagerung des Methodenfokus auf eine Totalerhebung sowie die Forderung nach zeitnahen Ergebnisdaten unterstützen diesen Trend.

Angemessenheit
Die Frage der Angemessenheit der Versorgung betrifft alle an der ambulanten Versorgung Beteiligten. Durch Ressourcenlimitationen unterliegt die Auswahl der zur Verfügung stehenden Behandlungsoptionen einer kritischen Überprüfung, gleichzeitig erschweren immer mehr Auflagen und bürokratische Hemmnisse die tägliche Arbeit der Praxen. Unter diesen Arbeitsbedingungen eine angemessene Versorgung sicherzustellen, bedarf der sorgfältigen Auswahl von Unterstützungsinstrumenten, wobei die Ansätze des Qualitätsmanagements eine wertvolle Hilfestellung darstellen können. Aber auch hier gilt: Das richtige Ausmaß des Qualitätsmanagements entscheidet über den Erfolg, sowohl zu kurz gegriffene als auch zu umfassende Systeme schaden einer nachhaltigen Einführung. Die Qualitätsmanagement-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses macht konkrete Vorgaben zu den Grundelementen eines einrichtungsinternen QM [3].

Welches Qualitätsmanagement für die ambulante Einrichtung?

Die Wege zur Einführung eines Qualitätsmanagements unterscheiden sich nicht unerheblich, die Ziele sind in großer Überschneidung ähnlich. Neben der Optimierung der Patientenversorgung stehen die innerbetriebliche Organisation und die Zusammenarbeit mit externen Einrichtungen im Mittelpunkt nahezu aller Qualitätsmanagement-Systeme. Über die Analyse der eigenen Einrichtung, die Definition von Zielen und die Einleitung von Verbesserungsmaßnahmen wird ein Prozess angestoßen, der der kontinuierlichen Aufrechterhaltung und Verbesserung nicht nur der Versorgungsqualität, sondern auch des wirtschaftlichen Erfolgs und der Mitarbeiterzufriedenheit dient. Je nach Herkunft und Ausrichtung bieten die für Praxen verfügbaren Qualitätsmanagementverfahren eher einen prozess- oder ergebnisorientierten Ansatz. Häufig liegt den Verfahren eine "Philosophie" zugrunde, die den Anwendern gefallen und entgegenkommen muss, um umgesetzt zu werden. Lange Erfahrung auf diesem Gebiet liegt mit dem in den Niederlanden entwickelten "Visitatie-Programm" [6] vor. Hausarztpraxen werden dort anhand von Prozess- und Ergebnisindikatoren evaluiert und erhalten konkrete Verbesserungsvorschlägen an die Hand, deren positive Wirkung auf Qualität und Kosten der ambulanten Versorgung dokumentiert werden konnte. Adaptionen dieses Modells auf den deutschen Kontext wurden vorgenommen (siehe Kapitel 12.4.3) [2].

Ambulante Praxisorganisation ist ein zu wichtiges Feld, um es nicht durch die ärztliche Selbstverwaltung selbst aufzugreifen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat deshalb in Zusammenarbeit mit Kassenärztlichen Vereinigungen ein eigenes, fachspezifisches und auf die besonderen Bedürfnisse der ambulanten Versorgung zugeschnittenes Qualitätsmanagement-System entwickelt, das von einer Vielzahl von Vertragsärzten und -psychotherapeuten genutzt wird (siehe Kapitel 12.4.1). Flankierend haben Kassenärztliche Vereinigungen regionale Einstiegspakete für ein Praxis-QM entwickelt, mit denen der Zugang zur Materie Qualitätsmanagement erleichtert wird (siehe Kapitel 12.4.2). Ergänzt werden diese aus der ärztlichen Selbstverwaltung entstandenen Programme durch das Zertifizierungssystem KTQ, das von einer gemeinsamen Einrichtung aus Selbstverwaltungspartnern angeboten wird (u. a. BÄK, DKG, Krankenkassen).

Ambulanten Einrichtungen steht somit eine Auswahl an QM-Systemen zur Verfügung und ausschließlich die Praxen/Einrichtungen selbst treffen die Entscheidung, welcher Ansatz in die Praxis eingeführt wird. Die Kassenärztlichen Vereinigungen bieten hierzu Unterstützung und Beratungen an.

14.3 Qualitätsförderungsmaßnahmen im System der vertragsärztlichen Versorgung: Implementierung eines strukturierten Prozesses der Zielfindung

Gesetzlicher Hintergrund

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) betrachtet die Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität ärztlicher Tätigkeit als eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine patienten- und bedarfsgerechte, fachlich qualifizierte und wirtschaftliche Versorgung auf hohem Leistungsniveau (Präambel der Qualitätssicherungs-Richtlinien der KBV nach § 75 Abs. 7 SGB V).

Die Formulierung von Zielen der Qualitätsentwicklung war und ist mit diesem Anliegen stets eng verbunden. Alle Qualitätssicherungs-Richtlinien der KBV beinhalten daher auch konkrete Zielstellungen. Für die Erarbeitung ambulanter Qualitätssicherungs-Richtlinien haben sich die Selbstverwaltungspartner im Gemeinamen Bundesausschuss auf ein Verfahren zur Priorisierung von Themen für bundesweit geltende Qualitätssicherungsmaßnahmen geeinigt und es in einem Methodenpapier "Verfahren zur Auswahl von qualitätsrelevanten Versorgungsaspekten und Methoden der Qualitätssicherung …" beschrieben. In anderen Bereichen basierte die Themenfindung in der Vergangenheit nicht auf einem strukturierten Verfahren mit definierten Auswahlkriterien, sondern erfolgte in der Regel determiniert durch interne oder externe Faktoren.

Durch das GKV-Modernisierungsgesetz gemäß § 136 Abs. 1 SGB V wurden die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zusätzlich vom Gesetzgeber zusätzlich verpflichtet, Maßnahmen zur Förderung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung durchzuführen und die Ziele und Ergebnisse dieser Qualitätssicherungsmaßnahmen zu dokumentieren sowie jährlich zu veröffentlichen. Neben der Umsetzung bundeseinheitlicher Ziele der Qualitätsentwicklung können KVen so der Heterogenität regionaler Rahmenbedingungen gerecht werden und eine große Bandbreite unterschiedlicher Qualitätssicherungsmaßnahmen einschließlich vergütungsbezogener Qualitätsförderungskonzepte nach § 136 Abs. 4 SGB V initiieren.

Durch die gemeinschaftliche und einheitliche Weiterentwicklung der Versorgungsqualität bei gleichzeitiger Abbildung regionaler Besonderheiten etabliert sich das KV-System als Gestalter der Versorgungslandschaft und als Impulsgeber bei der Lösung von Versorgungsproblemen. Die Stellung der Kassenärztlichen Vereinigungen in einem auf Wettbewerb orientierten Versorgungssystem wird so gefestigt. Als unterstützende Maßnahme hat der Vorstand der KBV beschlossen, den Prozess der Identifikation von Qualitätszielen in den KVen zu fördern.

Im Folgenden werden das konzipierte Vorgehen und wesentliche methodische Aspekte für den Prozess der Zielfindung und -definition dargestellt.

Prozess der Zielfindung/Zieldefinition – Vorgehen und Methodik

Mit der Implementierung eines strukturierten Priorisierungs- und Zielauswahlprozesses im System der vertragsärztlichen Versorgung soll die aktive Gestaltung des Qualitätsförderungsprozesses unterstützt und transparent gestaltet werden. Auf der Grundlage definierter Ausgangspunkte bzw. Aufgreifkriterien werden in einem strukturierten Konsentierungsprozess unter Anwendung vorab definierter Bewertungs- und Entscheidungskriterien Themen der Qualitätsförderung ausgewählt, Entwicklungsziele formuliert und durch Maßnahmen zu ihrer Realisierung untersetzt.

Der Zielprozess folgt dem P-D-C-A-Zyklus, auf diese Weise wird ein kontinuierlicher Qualitätsentwicklungsprozess initiiert: 
Plan – Zielauswahl und Messung des Ausgangsniveaus mit Hilfe von Indikatoren 
Do – Definition von Maßnahmen zur Zielerreichung 
Check – Messung der Zielerreichung durch QI und Evaluation der eingeleiteten Maßnahmen 
Act – Ziel- und Maßnahmendokumentation und Veröffentlichung im Qualitätsbericht

Theoretischer Hintergrund
Ziele sind Vorstellungen über einen wünschenswerten, anzustrebenden, zukünftigen Zustand, sie beschreiben positive, in der Zukunft liegende Tatbestände [4]. Ziele sind die Grundlage eines planvollen Handelns und müssen ganz konkrete Anforderungen erfüllen:

Ziele sollen:

  • R – relevant sein, d. h. sie müssen häufige, schwerwiegende Probleme aufgreifen.
  • U – understandable, also verständlich formuliert und eindeutig sein.
  • M – messbar sein. Das setzt die Definition bzw. die Auswahl von Messgrößen (Indikatoren) voraus, die sowohl das Ausgangsniveau als auch den Grad der Zielerreichung abbilden. Hierunter fällt auch, dass Ziele terminierbar sein müssen, d. h. für einen konkreten Planungszeitraum gelten.
  • B – behavioral oriented, d. h. sie sollen auf Verhaltensänderungen abzielen. Das setzt auch die Akzeptanz aller Beteiligten voraus.
  • A – achievable: Sie müssen erreichbar, also realistisch sein.

Ziele beschreiben noch keine Mittel/Instrumente ihrer Verwirklichung, Handlungsabläufe, Rahmenbedingungen oder Lösungsstrategien. Sie sind jedoch die Voraussetzung dafür, Maßnahmen effektiv einzuleiten und Ressourcen effizient zu nutzen.

Zielformulierung [1]:

  • Ziele sollen immer im Indikativ Präsens formuliert sein (Das Ziel ist erreicht.).
  • Ziele beschreiben positive, in der Zukunft liegende Tatbestände und sollen in einer sprachlich positiven Form formuliert sein.
  • Ziele sollen so spezifisch wie möglich beschrieben sein.
  • Ziele sollen zeitlich begrenzt sein (Zeitpunkt, Zeitziel nennen).
  • In Zielen sollten Doppelnennungen verwendet werden, um eine eindeutige sprachliche Gleichstellung zu gewährleisten (z. B. Patientinnen und Patienten).

Ausgangspunkt
Wichtige Punkte für die Erarbeitung von Zielen sind:

  • Bestandsaufnahme von bestehenden Projekten (Was gibt es schon? Wo besteht Handlungsbedarf?)
  • Nutzung der Erfahrung anderer Zielprojekte
  • Literaturrecherche

Ausgangspunkt der Gestaltung des Zielfindungsprozesses sollte immer die Frage nach dem WAS sein: Was soll verändert bzw. erreicht werden?

Hilfreich ist dafür die Sichtung nationaler und internationaler Erfahrungen der Zieldiskussion im Gesundheitswesen verbunden mit einer Bewertung der Möglichkeit zur Übertragung dieser Erfahrungen auf die ambulante medizinische Versorgung in Deutschland bzw. in einzelnen Bundesländern oder Regionen. Der Zielprozess geht von einer zu verändernden Situation, einem Problem bzw. einem negativen Zustand aus, der in einen positiven Endzustand überführt werden soll [4].

Es schließt sich die Frage nach dem WER an: Wer sind die Beteiligten am Veränderungsprozess? Dabei sind verschiedene Zielebenen zu unterscheiden:

  • Makroebene: 
    Ziele des Staates bzw. mit Bezug auf die Gesamtbevölkerung, die der Befriedigung kollektiver Bedürfnisse dienen, langfristiger Charakter Gesundheitsziele für Europa/Deutschland (nationale und internationale Quellen)
  • Mesoebene:
    Ziele, die sich auf ausgewählte gesellschaftliche Bereiche oder Populationen beziehen; mittelfristiger bis langfristiger Charakter 
    Zielbereiche der Qualitätsförderung in der vertragsärztlichen Versorgung (Auswahl durch die KVen in Abstimmung mit der KBV)
  • Mikroebene: 
    Ziele, die sich auf Haushalte, Unternehmen oder z. B. Patientengruppen beziehen und die auf eine Nutzenmaximierung der Befriedigung individuellen Bedarfs gerichtet sind; kurzfristiger oder mittelfristiger Charakter 
    Zieldefinition durch Kassenärztliche Vereinigungen

Beispiel
Makroziel/Oberziel: Die Säuglingssterblichkeit ist auf den europäischen Durchschnitt gesenkt worden.
Mesoziel/Unterziel: Die Teilnahmerate an der Schwangerenvorsorge ist gegenüber dem Jahr zzzz um x% gestiegen.
Mikroziel/Projektziel: Eine InformationsJeder Arzt ist entsprechend seiner Berufsordnung verpflichtet, Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der ärztlichen Tätigkeit durchzuführen.kampagne ist zum xx.yy.zzzz durchgeführt.

An das WAS und WER schließt sich die Entwicklung und Vereinbarung der Methodik des Zielprozesses an. WIE soll der Zielprozess gestaltet werden? Hierbei geht es um die Verständigung auf eine einheitliche Methode der Zieldefinition nach Ober-, Unter- und Projektzielen, auf Kriterien für die Zielpriorisierung und -auswahl, auf einzuleitende Maßnahmen, die Art und Weise der Evaluation usw.

Nachfolgend sind die Schritte eines strukturierten Priorisierungs- und Auswahlverfahrens für Qualitätsziele der KVen dargestellt.

Aufgreifkriterien und Auswahlverfahren für Qualitätsziele der KVen
Ausgangspunkte für den Zielerarbeitungsprozess speziell im vertragsärztlichen Bereich sind:

  • Hinweise auf Qualitätsdefizite
  • Hinweise auf Versorgungsdefizite
  • Möglichkeiten/Absichten der Qualitätsentwicklung
  • Qualitätsdarstellung

Diese Ausgangs- und Aufgreifpunkte können anhand verschiedenster Quellen identifiziert werden, wie z. B. gesetzliche Vorgaben, Nationale VersorgungsLeitlinien, www.gesundheitsziele.de; Ärzte-, Organisations- und Patientenbefragungen oder Themen öffentlicher Diskussion.

Zieldefinition und -auswahl

Festlegung der Themenkörbe/Zielthemen.
In Anlehnung an die Versorgungskette besitzen die folgenden Themenkörbe Relevanz für den Zielfindungsprozess der KVen:

  • populationsbezogene Themen (ergänzende Kategorie mit möglichen Überschneidungen zu den Themenkörben Prävention und Krankheitsbezug)
  • Themen zu Prävention und Gesundheitsförderung
  • Themen mit Krankheitsbezug (Diagnostik, Therapie, Rehabilitation)
  • Themen zu Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement
  • Querschnittsthemen

Diese Themenkörbe werden unter Anwendung der unten aufgeführten Priorisierungsund Auswahlkriterien mit Zielthemen gefüllt.

Auswahl und Festlegung der Ziele und Maßnahmen zu deren Realisierung.
Die in den Themenkörben gesammelten Zielthemen bilden die Grundlage für die Definition von Oberzielen der Qualitätsentwicklung. Im Ergebnis steht ein so genannter Zielpool zur Verfügung, aus dem jährlich einige Ziele ausgewählt werden, die entweder für alle KVen gleichermaßen gelten oder die regionale Priorität besitzen. Grundsätzlich können KVen ergänzend zu bundeseinheitlichen Zielen ausschließlich regional relevante Ziele definieren.

Die ausgewählten Oberziele werden durch die KVen mit Unterzielen und/oder Projektzielen untersetzt, für deren Realisierung die Festlegung konkreter Maßnahmen erforderlich ist. Die unterschiedlichen Zielebenen und Maßnahmen stehen in einem kausalen Zusammenhang. Während die Planung von Oberziel über Unterziel(e) zu Projektziel(en) erfolgt, das/die wiederum durch Maßnahmen zu untersetzen ist/sind, findet der Realisierungsprozess in umgekehrter Richtung statt. Durch Erfüllung der Maßnahmen wird das Projektziel erreicht. Dieses wiederum trägt zur Erfüllung des Unterziels bei. Erreichte Unterziele sind Voraussetzung für die Realisierung des Oberziels. Die Messung der Zielerreichung geschieht durch Indikatoren.

Maßnahmen haben meist die Form von Tätigkeiten. Sie können nach Trägern und Adressaten unterschieden werden [7]:

  • Maßnahmen, die von den in Versorgungseinrichtungen Tätigen getragen werden (Krankenhaus, Arztpraxen, Apotheken, Rehabilitationseinrichtungen)
  • Maßnahmen, die sich an Patienten richten (Patienteninformation und -motivation)
  • Maßnahmen, die sich an die Bevölkerung richten (Öffentlichkeitsarbeit, allgemeine oder gezielte Ansprache potenzieller Risikogruppen)
  • Maßnahmen, die von Tätigen in normensetzenden Einrichtungen getragen werden, darunter Maßnahmen, die von KVen/KBV getragen werden

Die Festlegung von Maßnahmen soll beinhalten:

Welche Maßnahmen? Wie umsetzen? Ab wann? Wie lange? Von wem? In welchem Umfang?

Auch Maßnahmen sollten nach festen Kriterien ausgewählt werden, z. B.:

  • hohe Wirksamkeit/gute wissenschaftliche Evidenz
  • günstiges Kosten-Nutzen-Verhältnis
  • Evaluationsfähigkeit der Maßnahme
  • Verfügbarkeit eines Trägers für die Maßnahme

Rahmenbedingungen/Voraussetzungen.
Bei der Zielplanung müssen die Voraussetzungen für das Erreichen eines ausgewählten Ziels gegeben sein, z. B. erforderliche Ressourcen (finanzielle Mittel, qualifiziertes oder zu qualifizierendes Personal, Raumkapazitäten, Kooperationspartner usw.), gesetzliche Grundlagen etc.

Die eingeleiteten Maßnahmen, die definierten Ziele und der Grad der Zielerreichung sollen gemäß gesetzlicher Vorgabe jährlich dokumentiert und veröffentlicht werden. Das geschieht z. B. im Qualitätsbericht der KVen/KBV.

Evaluation

Ansätze und Möglichkeiten der Evaluation von Zielen und Maßnahmen sollten von Anfang an bei der Entwicklung von Zielen Berücksichtigung finden. Dabei gelten die nachfolgend genannten Evaluationsgrundsätze:

  • möglichst objektiv nachprüfbare (Qualitäts-)Indikatoren und Kennzahlen finden
  • Ziele quantifizieren und terminieren
  • bestmöglich verfügbare Evidenz berücksichtigen

Konkrete Evaluationsvorgaben können jedoch erst dann entwickelt werden, wenn die Ziele quantifiziert sind und Maßnahmen konkret benannt wurden.

Priorisierungs- und Auswahlkriterien für Themen und Ziele der Qualitätsförderung durch KVen 
Wesentlich für den Zielfindungsprozess ist eine systematische Priorisierung und Auswahl der Themen und Ziele anhand vorab festgelegter Kriterien. Wesentliche Kriterien für den Zielprozess der KVen sind nachfolgend aufgeführt. Grundsätzlich sollen für die Zielauswahl immer gleiche Kriterien gelten, anhand derer nach einem Punktesystem alle Themen/Ziele bewertet werden.

Grundvoraussetzung für die Auswahl ist in jedem Fall, dass gegen das Thema/Ziel keine ethischen Bedenken bestehen.

Kriterien der 1. Bewertungsrunde:

pragmatisch/politisch:

  • Es besteht großes Interesse der Öffentlichkeit/Politik an dem Zielthema.

wissenschaftlich:

  • Das Zielthema ist weit verbreitet und/oder wird als Leistung häufig erbracht.
  • Das Zielthema birgt Verbesserungspotenzial in sich.
  • Machbarkeit: Es bestehen Verfahren und Instrumente zur Verbesserung des Zielthemas und/oder es bestehen Strukturen und Akteure zur Umsetzung des Zielthemas.
  • Das Zielthema verursacht hohe Mortalität und Leiden.

Kriterien 2. Bewertungsrunde:

pragmatisch/politisch:

  • Es besteht großes Interesse der Mitglieder an dem Zielthema.
  • Mit dem Zielthema positioniert sich die KV bzw. das KV-System als Akteur im Gesundheitssystem.

wissenschaftlich:

  • Es bestehen Möglichkeiten zur Messung von Ergebnissen.

ökonomisch:

  • Das Zielthema verursacht hohe Kosten (volkswirtschaftliche Relevanz) und/oder ist mit einem hohen Ressourcenaufwand verbunden.
  • Kosten und Nutzen der Intervention/Maßnahme stehen in einem angemessenen Verhältnis zueinander.
  • Durch das Zielthema können Einspareffekte erzielt werden.

Ausblick

Neben der Umsetzung des gesetzlichen Auftrages des SGB V ist das Konzept geeignet, auch in anderen Bereichen der Qualitätsförderung Einsatz zu finden, so z. B. bei der Konzipierung von Kompetenzzentren. Es stellt somit eine geeignete methodische Grundlage für einen kontinuierlichen Prozess der Qualitätssicherung und -entwicklung dar.

Literatur

  1. Benz S (2003) Ziele formulieren. Die Lösungs- orientierte Kurztherapie und das Züricher Ressourcen Modell im Vergleich, "Proseminararbeit", Zürich
  2. Brinkmann H, Qualitätsmanagement in der hausärztlichen Versorgung – Europäisches Praxisassessment. Projekt der Bertelsmann- Stiftung, Gütersloh.
    Europäisches Praxisassessment (18.07.08)

  3. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), Richtlinie über grundsätzliche Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement für die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, Psychotherapeuten und medizinischen Versorgungszentren (Qualitätsmanagementrichtlinie vertragsärztliche Versorgung) in der Fassung vom 18. Oktober 2005.
    Volltext | 80 KB (9.07.08)

  4. Helming S, Göbel M (1997) Ziel Orientierte Projektplanung – ZOPP, Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH, Eschborn
  5. Herholz H, Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung am Beispiel Hessen. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. (2002), 45, 249–259
  6. van den Hombergh P, Grol R, van den Hoogen HJ, van den Bosch WJ, Practice visits as a tool in quality improvement: mutual visits and feedback by peers compared with visits and feedback by nonphysician observers. Qual Health Care. (1999), 8, 161–166
  7. Gesundheitsziele | 1 MB
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zuletzt verändert: 12.06.2023 | 15:02 Uhr