3 Qualitätsmanagement und die Sicht der Patienten

3.1 Anforderungen von Patienten

Qualitätsbewusste Patienten bewerten nicht nur die erhaltene medizinische, therapeutische, pflegerische Versorgung und das Ergebnis der Behandlung, sondern auch die Informationsvermittlung, die Kommunikation mit den Leistungserbringern, den Eindruck vom Personal (Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, Kompetenz, Pünktlichkeit, Wartezeit), den Umgang mit allen Mitarbeitern der Praxis oder der Klinik, den Zugang zur und die Organisation in der Praxis sowie Unterstützungsangebote [2; 14].

3.2 Patientenorientierung

Patientenorientierung heißt, dass sich im Rahmen eines therapiekonformen Betreuungsprozesses alle Beteiligten bemühen, die Erwartungen und Bedürfnisse der Patienten kennen zu lernen und zu erfüllen [3; 4]. Jeder Patient soll als Individuum betrachtet und behandelt werden, mit eigenen persönlichen Bedürfnissen und Erwartungen. Je besser Ärzte wiederum die Erwartungen ihrer Patienten kennen, umso besser können sie diese berücksichtigen. Deshalb ist es erforderlich, die Erwartungen der Patienten kontinuierlich zu ermitteln, die Veränderungen zu erkennen und darauf entsprechend zu reagieren. Patientenorientierung heißt aber auch, durch ein kontinuierliches Qualitätsmanagement Defizite aufzudecken und zu eliminieren.

Solche Defizite aus Patientensicht hat das Berliner Selbsthilfeforum untersucht und in einer Mängelliste zusammen gestellt [12]:

  • Ärzte hören zu wenig zu, haben zu wenig Zeit
  • Aufklärung und Beratung sind unzureichend
  • Ärzte sprechen in einer unverständlichen Wissenschaftssprache
  • Ärzte haben einseitige Definitionsmacht, es wird Druck ausgeübt in Richtung bestimmter Behandlungsmethoden
  • Ärzte legen ihre Interessen und Informationsquellen nicht offen (Pharmainteressen)
  • Patienten stehen bei Behandlungsfehlern allein da
  • Patienten wissen nicht, was der Arzt für die Behandlung abrechnet
  • Wartezeiten und Dienstleistungsqualität sind unzureichend

Die Patientenorientierung einer Arztpraxis lässt sich daran erkennen, inwieweit die folgenden Anforderungen erfüllt sind [1]:

  • Der Arzt nimmt den Patienten und sein spezielles gesundheitliches Problem ernst.
  • Der Patient erhält von seinem Arzt eine ausführliche und verständliche Information und Beratung.
  • Der Patient erhält von seinem Arzt weiterführende Informationen sowie Hilfs- und Beratungsangebote.
  • Der Arzt bezieht den Patienten in alle Entscheidungen bezüglich seiner gesundheitlichen Situation mit ein.
  • Der Patient wird von Arzt und Praxispersonal freundlich und respektvoll behandelt.
  • Der Patient erhält ohne Probleme Zugang zu seinen Patientenunterlagen.
  • Der Arzt akzeptiert, dass der Patient im Zweifelsfall eine zweite Meinung einholen möchte.
  • In der Arztpraxis wird der Schutz der Person und Intimsphäre des Patienten gewahrt.
  • In der Arztpraxis wird der Schutz der persönlichen Patientendaten gewahrt.
  • Die Arztpraxis ist gut zu erreichen.
  • Wenn Arzt und Arztpraxis ein Qualitätsmanagement durchführen, ist das für den Patienten erkennbar.

3.3 Qualitätsziele zur Patientenorientierung aus Sicht der Ärzteschaft

Im Jahr 2005 hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung unter der Bezeichnung QEP® – Qualität und Entwicklung in Praxen [7] einen Qualitätszielekatalog veröffentlicht, der die von den Patienten identifizierten Defizite aufgreift und in konkrete Qualitätsziele umsetzt.

Zu diesen Zielen gehören Qualitätsaspekte zu(r):

  • Patientenversorgung
    Zugang zur ambulanten Versorgung, Durchführung der Versorgung, Patientenunterlagen und Dokumentation
  • Patientenrechten und Patientensicherheit
    Aufklärung und Einwilligung, Einsichtnahme in Patientenakten, Risiko- und Fehlermanagement, Vertraulichkeit und Schweigepflicht

3.4 Praktische Umsetzung der Patientenorientierung im QM

Gründliche und verständliche Aufklärung
Die gründliche und verständliche Aufklärung und Information des Patienten hat im Qualitätsmanagement eine zentrale Bedeutung. Sie bildet die Basis dafür, informierte Entscheidungen treffen zu können. Der Kranke, der zum Arzt geht und ohne zu hinterfragen befolgt, was die Autorität im weißen Kittel sagt, wird immer seltener. Die Zahl der Patienten nimmt zu, die über diagnostische und therapeutische Maßnahmen und Möglichkeiten der Selbsthilfe aufgeklärt werden wollen, die jeweiligen Implikationen verstehen und letztlich auch mit entscheiden möchten. Dies entspricht der Kernaussage des Konzeptes der gemeinsamen Entscheidungsfindung (Partizipative Entscheidungsfindung, shared decison making): Arzt und Patient treffen auf der Basis geteilter Informationen eine gemeinsam verantwortete Entscheidung, sie gehen eine "therapeutische Allianz" ein [5].

Patienten verstehen oft nur 50% der Informationen, die sie von ihrem Arzt erhalten [10]. Auch bei einem gründlichen mündlichen Aufklärungsgespräch ist keine Garantie gegeben, dass Patienten die vermittelten Inhalte verstanden haben und auch erinnern können. Viele Patienten können sich nach dem Verlassen des Arztzimmers an den Inhalt des Gespräches nicht mehr korrekt erinnern. Deshalb sollten Patienten alles, was sie im Rahmen der Aufklärung über Erkrankung und mögliche Therapieoptionen, sowie die weitere Versorgung und Betreuung an mündlicher Beratung erfahren, – in komprimierter Form – "schwarz auf weiß" mitnehmen können [1]. Das Überzeugende daran ist: Der Patient trägt etwas mit sich nach Hause, das extra für ihn erstellt wurde. Dabei sollte Qualität vor Quantität gehen. Eine individuell auf den Patienten abgestimmte Information wirkt professioneller und persönlicher als ein kopierter Diätplan oder eine übliche Informationsbroschüre. Bewährt haben sich individuelle Beratungsrezepte, Patientenpässe oder Patientenbücher [13], die Einzelinformationen – auch verschiedener Ärzte – integrieren.

Kommunikation
Ob ein Patient vermittelte Informationen zu Nutzen und Nebenwirkung vorgeschlagener Behandlungsoptionen versteht, ist zum einen davon abhängig, in welcher Form diese vermittelt werden [6; 9], zum anderen von der Qualität der Arzt-Patienten-Kommunikation.

Vermittlung von Behandlungsoptionen
Evidenzbasierte Entscheidungsgrundlagen für Arzt und Patient setzen ein Verständnis für den Umgang mit Wahrscheinlichkeiten voraus. Keine Untersuchung ist zu einhundert Prozent sicher, keine Behandlung auf der ganzen Linie wirkungsvoll. Bei Entscheidungen müssen sich Arzt und Patient also immer auf Wahrscheinlichkeiten stützen. Die Bewertung von Nutzen und Risiken ist bei Experten und Laien unterschiedlich. Der Experte stützt seine Bewertungsgrundlagen auf eine (durch die entsprechende Studie) klar definierte Patientengruppe, der Patient selbst erwartet eher eine Ja/Nein-Entscheidung. Eine weitere Hürde bei der Kommunikation von Nutzen und Risiken stellt der so genannte Framing Effekt dar. Das bedeutet, dass die Entscheidung davon abhängt, ob eine Information/Option positiv oder negativ dargestellt wird.

Qualität der Arzt-Patienten-Kommunikation
Zur erfolgreichen Gestaltung der Arzt-Patienten-Kommunikation müssen verschiedene Aspekte berücksichtigt werden [8]:

  • Schaffung eines störungsfreien Umfeldes
  • Aufbau einer Arbeits- und Vertrauensbeziehung
  • Empathie
  • Konfliktmanagement
  • Echtheit der Beziehung
  • Berücksichtigung kommunikationswissenschaftlicher Grundlagen ("die vier Ohren" [11])
  • Erkennen und kommunizieren der eigenen Grenzen

Patientenbeschwerden als Instrument im QM
Eine Beschwerde ist nicht gleichzusetzen mit einem Vertrauensbruch zwischen Arzt und Patient. Vielmehr kann sie eine wesentliche Informationsquelle zur Verbesserung der Qualität in der Arztpraxis sein. Patientenbeschwerden sind bedeutende Rückkoppelungen des Versorgungsprozesses; daher sind Beschwerden anzuhören, zu bewerten, und es ist auf sie einzugehen. Der behandelnde Arzt muss auch bei Beschwerdefällen oder Vorschlägen Ansprechpartner des Patienten sein.

Bei individuellen Patientenbeschwerden geht es in erster Linie darum, die vom Patienten identifizierten Nöte, Ängste, Sorgen, Ärgernisse etc. aufzunehmen und im individuellen Fall weiter zu helfen. Diese Aufgaben können von Servicestellen, Patientenbüros oder Patientenombudsleuten wahrgenommen werden. Viele Kliniken haben bereits derartige Servicestellen eingerichtet. Auch Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen bieten einen solchen Service für Patienten an.

Wenn es darum geht, ein Meinungsbild der Patienten als Unterstützung des Qualitätsmanagements in der Praxis zu gewinnen, gibt es die nachfolgend dargestellten Möglichkeiten:

Erfassung von Erfahrungen und Zufriedenheit
Die oben genannten Qualitätskriterien aus Patientensicht sollten im Qualitätsmanagement systematisch erfasst werden.

Individuelle Rückmeldungen: z. B. Patientenvorschlagbox
In der Praxis oder in Krankenhausabteilungen werden Boxen aufgestellt. Ein Plakat über der Box ersucht den Patienten, dem Praxisinhaber/der Krankenhausleitung mitzuteilen, was ihm gefallen hat und was verbessert werden sollte. Der Vorteil ist, dass sich hier ein gutes Meinungsbild ergibt, der Nachteil dieser Möglichkeit ist, dass diese Art der Rückmeldung nicht systematisch ist und durch diverse Einflussfaktoren möglicherweise ein verfälschter Eindruck entsteht.

Standardisierte Rückmeldungen von Patienten: z. B. systematische Patientenbefragungen
Häufig eingesetzt werden in diesem Zusammenhang Befragungen, die die subjektive Bewertung der Patienten dokumentieren und mithilfe von "reporting-questions" Situationsbeschreibungen enthalten. Da sich Patientenbewertungen aus verschiedenen Dimensionen zusammensetzen – den Erwartungen und Bedürfnissen; den Vorstellungen und Annahmen bezüglich des Ergebnisses einer Behandlung, persönlichen Einstellungen, realen Erfahrungen in einer Situation und dem gesundheitlichen Outcome – macht es auch Sinn, diese Parameter zu erheben und sie mit der Bewertung der Patienten zu kontrastieren.

Ein solcher Fragebogen kann dazu genutzt werden, die Patientensicht in der einzelnen Praxis zu analysieren und dient im Benchmarking dazu, die Ergebnisse praxisübergreifend vergleichen zu können. Der Erstellung des Fragebogens kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Wesentlich ist, die Fragen eindeutig zu formulieren und zahlreiche weitere, in der Literatur zur Entwicklung von Erhebungsinstrumenten zusammengefasste Aspekte zu berücksichtigen. Es empfiehlt sich, bereits vorliegende, validierte Fragebögen zu nutzen (z. B. das Instrument ZAP – Zufriedenheit in der ambulanten Versorgung – Qualität aus Patientenperspektive [2]), die gegebenenfalls im Hinblick auf die Bedürfnisse und Zielsetzungen der jeweiligen Praxis unter fachkundiger Anleitung adaptiert werden können.

Literatur

  1. Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) (2007) Woran erkennt man eine gute Arztpraxis? Checkliste für Patientinnen und Patienten. ÄZQ, Berlin
  2. Bitzer EM, Dierks ML (1999) Wie kann man Erwartungen und Zufriedenheit der Patienten im Qualitätsmanagement berücksichtigen? – Erhebungsverfahren und Erfahrungen aus der ambulanten Versorgung. In: Das Bundesministerium für Gesundheit, Qualitätsmanagement in der Arztpraxis, 125–184. Nomos, Baden-Baden
  3. Bleses H (2005) Patientenorientierung als Qualitätsmerkmal. Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doctor rerum curae (Dr. rer. cur.). Med. Fak. der Charité, Berlin
  4. Dierks ML, Schwartz FW (2008) Patienten, Versicherte, Bürger – die Nutzer des Gesundheitswesen. In: Schwartz FW, Badura B, Busse R, Leidl R, Raspe H, Siegrist J, Walter U, Das Public Health Buch, 314–321. Urban und Fischer, München
  5. Härter M, Partizipative Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) – ein von Patienten, Ärzten und der Gesundheitspolitik geforderter Ansatz setzt sich durch. Z Arztl Fortbild Qualitatssich. (2004), 98, 89–92
  6. Hoffrage U, Kurzenhauser S, Gigerenzer G, Wie kann man die Bedeutung medizinischer Testbefunde besser verstehen und kommunizieren? Z Arztl Fortbild Qualitatssich. (2000), 94, 713–719
  7. Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Qualitätsmanagement in der ambulanten Versorgung. 
    KBV-Qualitätsmanagement (8.07.08)
  8. Leitliniengruppe Hessen (2006) Hausärztliche Gesprächsführung. Hausärztliche Leitlinie. PMV forschungsgruppe, Köln
  9. Ortmann K, Diskrepanzen zwischen Ärzten und Patienten mit langwierigen funktionellen Beschwerden als zentrales Behandlungsproblem. Wie Hilfequalität verbessert werden kann. Z Arztl Fortbild Qualitatssich. (2000), 94, 708–712
  10. Schillinger D, Piette J, Grumbach K, Wang F et al., Closing the loop: physician communication with diabetic patients who have low health literacy. Arch Intern Med. (2003), 163, 83–90
  11. Schulz von Thun F (1998) Miteinander reden. 14. Aufl., Rowohlt, Reinbek
  12. Stötzner K, Einbindung von Patienten und ihren Anliegen in die evidenzbasierte Medizin. Z Arztl Fortbild Qualitatssich. (2001), 95, 131–136
  13. Szecsenyi J, Klingenberg A, Pelz J, Magdeburg K, Bewertung eines Patientenbuches durch Patienten – Ergebnisse aus der Ärztlichen Qualitätsgemeinschaft Ried. Z Arztl Fortbild Qualitatssich. (2001), 95, 407–412
  14. Wölker T (2002) Qualitätsmanagement in der Arztpraxis – So managen Sie Qualität. Ärzte-Zeitung-Verl.-Ges., Neu-Isenburg
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